→
Rauschgedicht ist eine Soundinstallation aus Geräuschen, die im Frankfurter Bahnhofsviertel gesammelt wurden. Während des zweiten Lockdowns wurden die Audios mit einem Fieldrecorder aufgenommen und mithilfe einer Software neu sortiert. Dabei wurde ihre chronologische und örtliche Reihenfolge beibehalten. Durch eine raumübergreifende Position der Lautsprecher können die Hörenden in die Klanglandschaft des Bahnhofsviertels eintauchen.
Das Bahnhofsviertel ist ein vielseitiger Ort voller unterschiedlicher Kulturen, Sprachen, Berufe, Bräuche, Gedanken und Geschichten, die sich an jeder Ecke überschneiden und neue Verbindungen eingehen. Die verschiedenen Orte haben je nach Tageszeit ihren eigenen, charakteristischen Klang. Im Zusammenspiel lassen sich diese Klänge als eine Art Essenz dieser vielfältigen Gesellschaft betrachten.
Während der COVID-19 Pandemie hat sich die Nachbarschaft in vielen Bereichen gewandelt. Auch die alltägliche Geräuschkulisse war während des Lockdowns von den Veränderungen betroffen. Der Rückgang der menschlichen Präsenz führte dazu, dass nicht-menschliche Akteur:innen des Viertels, die sonst oft unbemerkt bleiben, wie zum Beispiel Tiere und Maschinen, viel deutlicher zum Vorschein kamen. Dies wirft die Fragen auf: Können diese Akteur:innen als wirklich nicht-menschlich betrachtet werden? Sind diese Elemente einfach von Menschen gemacht oder werden sie auch von Menschen gestaltet? Wie wird sich das Verhältnis zwischen Menschen und diesen Akteur:innen in naher Zukunft entwickeln?
Unser Bewusstsein ist in der Lage, mächtige Beziehungen herzustellen. So können uns einfache Sinn-Impulse wie Geruch oder Klang an einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Zeit versetzen. In der Geschichte der westlichen Musik gibt es eine Gattung, die sich darauf konzentriert, bestimmte Orte, Geschichten oder Zeiten durch Klang zu vermitteln, bekannt als programmatische Musik. Obwohl ihre Struktur durch eine außermusikalische Erzählung bestimmt wird, verwendet die programmatische Musik nur instrumentale Klänge, keinen Text.
Antonio Vivaldis (1678-1741) Werk Die vier Jahreszeiten ist eines der bekanntesten Beispiele dieser Gattung. Jedes Konzert porträtiert eine Jahreszeit, wobei die Musik verschiedene charakteristische Naturerscheinungen imitiert, wie Vogelstimmen, Regen oder sogar das Schlittschuhlaufen. Die symphonische Dichtung ist eine Unterkategorie der programmatischen Musik und war eine der am meisten erforschten musikalischen Formen in der Romantik. Richard Strauss (1864-1949) gilt als ein herausragender Komponist der symphonischen Dichtung. Seine Alpensinfonie schildert einen Aufstieg zum Gipfel eines Berges und einen Abstieg zurück ins Tal. Während des gesamten Stücks nimmt Strauss Bezug auf bestimmte Orte und Momente der Reise.
In einem radikalen Gegensatz zur romantischen Programmmusik stehen die Vorstellungen von Geräusch und Zufall von John Cage (1912-1992). Indem er einige seiner Stücke mittels des Zufalls konstruierte, beispielsweise durch den Einsatz von Würfeln oder dem Orakelbuch I Ging (Yijing), zeigte sich sein unermüdliches Streben, die Musik vom Komponisten zu befreien. Gleichzeitig stellte Cage immer wieder fest, dass Alltagsgeräusche genauso wertvoll sein können wie instrumentale Klänge. Für ihn eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, der Musik einen größeren Klangfarbenreichtum zu verleihen.
In Rauschgedicht findet eine Begegnung zwischen diesen beiden Ideen statt. Die Konzeption ist wie die einer symphonischen Dichtung: Der Künstler behält die Kontrolle über die Erzählung und definiert die Orte und Momente, die er rekonstruieren möchte. Im Gegensatz dazu dienen lange Audioaufnahmen als Grundlage für dieses Stück. Sie entziehen sich der vollständigen Kontrolle des Künstlers, weshalb auch der Zufall eine tragende Rolle spielt.
Rauschgedicht bricht aus rhythmischen oder melodischen Mustern aus und besteht ausschließlich aus alltäglichen urbanen Klängen. Das, was wir jeden Tag hören und wahrnehmen erhält dadurch einen neuen Rahmen. Das Werk sensibilisiert die Zuhörenden für die vielfältigen akustischen Komponenten und zelebriert so die Klangvielfalt des Frankfurter Bahnhofsviertels.
Die Arbeit kann in zwei Versionen gehört werden: Die Installationsversion ist in 5.1 Surround abgemischt, hat somit sechs unabhängige Kanäle, die im Raum verteilt sind. Die Online-Version hingegen ist in Stereo verfügbar und so ideal für das Hören mit Stereo Lautsprechern oder Kopfhörern.
Rauschgedicht is a sound installation consisting of sounds collected in Frankfurt’s Bahnhofsviertel. Recorded with a field recorder during the second lockdown, the audios were then rearranged using software, keeping their chronological and local order. With the loudspeakers positioned across the room, listeners can immerse themselves in the soundscape of the Bahnhofsviertel.
The Bahnhofsviertel is a diverse place full of different cultures, languages, professions, customs, thoughts and stories that overlap at every corner and form new connections. Different zones within the quarter have their own characteristic sound depending on the time of day. When combined, these sounds can be seen as a kind of essence of this diverse society.
During the COVID-19 pandemic, the neighborhood has changed in many ways. The usual background noise was also affected by the changes during lockdown. The decline in human presence meant that non-human actors such as animals and machines, which otherwise often went unnoticed, came to light much more clearly. This also raised some questions: Can these actors truly be considered non-human? Are these elements simply made by humans or are humans also shaped by them? How will the relationship between humans and these actors evolve in the near future?
Our consciousness is able to create powerful relationships. Simple sensory impulses such as smell or sound can transport us to a certain place or a certain time. In the history of Western music, there is a genre that focuses on conveying places, stories, or times through sound: programmatic music. Although its structure is determined by a non-musical narrative, programmatic music uses only instrumental sounds, never text.
Antonio Vivaldi's (1678-1741) work The Four Seasons is one of the best-known examples of this genre. Each concert portrays a season, with the music imitating various characteristic natural phenomena, such as birds, rain or even ice skating. The Symphonic poem is a subcategory of programmatic music and was one of the most explored musical forms in Romanticism. Richard Strauss (1864-1949) is considered an outstanding composer of Symphonic poems. His An Alpine Symphony describes an ascent to the top of a mountain and a descent back into the valley. Throughout the piece, Strauss refers to specific places and moments of the journey.
The ideas of noise by John Cage (1912-1992) stand in radical contrast to romantic programmatic music. By constructing some of his pieces by chance, for example by using dice or the oracle book I Ching (Yi Jing), he tirelessly strived to free the music from the composer. At the same time, Cage’s point of view indicated that everyday sounds can be just as valuable as instrumental sounds. For him this opened up the possibility of giving the music a greater wealth of timbres.
An encounter between these two ideas takes place in Rauschgedicht. The conception is like that of a symphonic poem: the artist retains control of the narrative and defines the places and moments that he wants to reconstruct. In contrast, long audio recordings serve as the basis for this piece. They are beyond the complete control of the artist, which is why chance also plays a major role.
Rauschgedicht breaks out of rhythmic or melodic patterns and consists exclusively of everyday urban sounds. What we hear and perceive every day is given a new framework. The work sensitizes the audience to the diverse acoustic components and thus celebrates the variety of sounds in the Bahnhofsviertel in Frankfurt.
The work can be heard in two versions: The installation version is mixed in 5.1 Surround, thus having six independent channels that are distributed throughout the room. The online version, on the other hand, is available in stereo, making it ideal for listening with stereo speakers or headphones.
Jaffna Basar, 1. Stock
Kaiserstraße 49, DE-60329 Frankfurt
→ Google-Maps
Opening Hours
Mo-Sa 9:00-00:00 Uhr / So: 14:00-22:00 Uhr
→
Rauschgedicht ist eine Soundinstallation aus Geräuschen, die im Frankfurter Bahnhofsviertel gesammelt wurden. Während des zweiten Lockdowns wurden die Audios mit einem Fieldrecorder aufgenommen und mithilfe einer Software neu sortiert. Dabei wurde ihre chronologische und örtliche Reihenfolge beibehalten. Durch eine raumübergreifende Position der Lautsprecher können die Hörenden in die Klanglandschaft des Bahnhofsviertels eintauchen.
Das Bahnhofsviertel ist ein vielseitiger Ort voller unterschiedlicher Kulturen, Sprachen, Berufe, Bräuche, Gedanken und Geschichten, die sich an jeder Ecke überschneiden und neue Verbindungen eingehen. Die verschiedenen Orte haben je nach Tageszeit ihren eigenen, charakteristischen Klang. Im Zusammenspiel lassen sich diese Klänge als eine Art Essenz dieser vielfältigen Gesellschaft betrachten.
Während der COVID-19 Pandemie hat sich die Nachbarschaft in vielen Bereichen gewandelt. Auch die alltägliche Geräuschkulisse war während des Lockdowns von den Veränderungen betroffen. Der Rückgang der menschlichen Präsenz führte dazu, dass nicht-menschliche Akteur:innen des Viertels, die sonst oft unbemerkt bleiben, wie zum Beispiel Tiere und Maschinen, viel deutlicher zum Vorschein kamen. Dies wirft die Fragen auf: Können diese Akteur:innen als wirklich nicht-menschlich betrachtet werden? Sind diese Elemente einfach von Menschen gemacht oder werden sie auch von Menschen gestaltet? Wie wird sich das Verhältnis zwischen Menschen und diesen Akteur:innen in naher Zukunft entwickeln?
Unser Bewusstsein ist in der Lage, mächtige Beziehungen herzustellen. So können uns einfache Sinn-Impulse wie Geruch oder Klang an einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Zeit versetzen. In der Geschichte der westlichen Musik gibt es eine Gattung, die sich darauf konzentriert, bestimmte Orte, Geschichten oder Zeiten durch Klang zu vermitteln, bekannt als programmatische Musik. Obwohl ihre Struktur durch eine außermusikalische Erzählung bestimmt wird, verwendet die programmatische Musik nur instrumentale Klänge, keinen Text.
Antonio Vivaldis (1678-1741) Werk Die vier Jahreszeiten ist eines der bekanntesten Beispiele dieser Gattung. Jedes Konzert porträtiert eine Jahreszeit, wobei die Musik verschiedene charakteristische Naturerscheinungen imitiert, wie Vogelstimmen, Regen oder sogar das Schlittschuhlaufen. Die symphonische Dichtung ist eine Unterkategorie der programmatischen Musik und war eine der am meisten erforschten musikalischen Formen in der Romantik. Richard Strauss (1864-1949) gilt als ein herausragender Komponist der symphonischen Dichtung. Seine Alpensinfonie schildert einen Aufstieg zum Gipfel eines Berges und einen Abstieg zurück ins Tal. Während des gesamten Stücks nimmt Strauss Bezug auf bestimmte Orte und Momente der Reise.
In einem radikalen Gegensatz zur romantischen Programmmusik stehen die Vorstellungen von Geräusch und Zufall von John Cage (1912-1992). Indem er einige seiner Stücke mittels des Zufalls konstruierte, beispielsweise durch den Einsatz von Würfeln oder dem Orakelbuch I Ging (Yijing), zeigte sich sein unermüdliches Streben, die Musik vom Komponisten zu befreien. Gleichzeitig stellte Cage immer wieder fest, dass Alltagsgeräusche genauso wertvoll sein können wie instrumentale Klänge. Für ihn eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, der Musik einen größeren Klangfarbenreichtum zu verleihen.
In Rauschgedicht findet eine Begegnung zwischen diesen beiden Ideen statt. Die Konzeption ist wie die einer symphonischen Dichtung: Der Künstler behält die Kontrolle über die Erzählung und definiert die Orte und Momente, die er rekonstruieren möchte. Im Gegensatz dazu dienen lange Audioaufnahmen als Grundlage für dieses Stück. Sie entziehen sich der vollständigen Kontrolle des Künstlers, weshalb auch der Zufall eine tragende Rolle spielt.
Rauschgedicht bricht aus rhythmischen oder melodischen Mustern aus und besteht ausschließlich aus alltäglichen urbanen Klängen. Das, was wir jeden Tag hören und wahrnehmen erhält dadurch einen neuen Rahmen. Das Werk sensibilisiert die Zuhörenden für die vielfältigen akustischen Komponenten und zelebriert so die Klangvielfalt des Frankfurter Bahnhofsviertels.
Die Arbeit kann in zwei Versionen gehört werden: Die Installationsversion ist in 5.1 Surround abgemischt, hat somit sechs unabhängige Kanäle, die im Raum verteilt sind. Die Online-Version hingegen ist in Stereo verfügbar und so ideal für das Hören mit Stereo Lautsprechern oder Kopfhörern.
Rauschgedicht is a sound installation consisting of sounds collected in Frankfurt’s Bahnhofsviertel. Recorded with a field recorder during the second lockdown, the audios were then rearranged using software, keeping their chronological and local order. With the loudspeakers positioned across the room, listeners can immerse themselves in the soundscape of the Bahnhofsviertel.
The Bahnhofsviertel is a diverse place full of different cultures, languages, professions, customs, thoughts and stories that overlap at every corner and form new connections. Different zones within the quarter have their own characteristic sound depending on the time of day. When combined, these sounds can be seen as a kind of essence of this diverse society.
During the COVID-19 pandemic, the neighborhood has changed in many ways. The usual background noise was also affected by the changes during lockdown. The decline in human presence meant that non-human actors such as animals and machines, which otherwise often went unnoticed, came to light much more clearly. This also raised some questions: Can these actors truly be considered non-human? Are these elements simply made by humans or are humans also shaped by them? How will the relationship between humans and these actors evolve in the near future?
Our consciousness is able to create powerful relationships. Simple sensory impulses such as smell or sound can transport us to a certain place or a certain time. In the history of Western music, there is a genre that focuses on conveying places, stories, or times through sound: programmatic music. Although its structure is determined by a non-musical narrative, programmatic music uses only instrumental sounds, never text.
Antonio Vivaldi's (1678-1741) work The Four Seasons is one of the best-known examples of this genre. Each concert portrays a season, with the music imitating various characteristic natural phenomena, such as birds, rain or even ice skating. The Symphonic poem is a subcategory of programmatic music and was one of the most explored musical forms in Romanticism. Richard Strauss (1864-1949) is considered an outstanding composer of Symphonic poems. His An Alpine Symphony describes an ascent to the top of a mountain and a descent back into the valley. Throughout the piece, Strauss refers to specific places and moments of the journey.
The ideas of noise by John Cage (1912-1992) stand in radical contrast to romantic programmatic music. By constructing some of his pieces by chance, for example by using dice or the oracle book I Ching (Yi Jing), he tirelessly strived to free the music from the composer. At the same time, Cage’s point of view indicated that everyday sounds can be just as valuable as instrumental sounds. For him this opened up the possibility of giving the music a greater wealth of timbres.
An encounter between these two ideas takes place in Rauschgedicht. The conception is like that of a symphonic poem: the artist retains control of the narrative and defines the places and moments that he wants to reconstruct. In contrast, long audio recordings serve as the basis for this piece. They are beyond the complete control of the artist, which is why chance also plays a major role.
Rauschgedicht breaks out of rhythmic or melodic patterns and consists exclusively of everyday urban sounds. What we hear and perceive every day is given a new framework. The work sensitizes the audience to the diverse acoustic components and thus celebrates the variety of sounds in the Bahnhofsviertel in Frankfurt.
The work can be heard in two versions: The installation version is mixed in 5.1 Surround, thus having six independent channels that are distributed throughout the room. The online version, on the other hand, is available in stereo, making it ideal for listening with stereo speakers or headphones.
Jaffna Basar, 1. Stock
Kaiserstraße 49, DE-60329 Frankfurt
→ Google-Maps
Opening Hours
Mo-Sa 9:00-00:00 Uhr / So: 14:00-22:00 Uhr
→
Gern informieren wir Sie per E-Mail über Veranstaltungen und aktuelle Ausstellungen. Ihre persönlichen Kontaktdaten werden ausschließlich zur Versendung der Updates verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.
We will be happy to inform you by e-mail about events and current exhibitions. Your personal contact details will only be used for sending updates and will not be passed on to third parties.
CONTACT
For any requests, love letters and feedback please write us a mail at
contact@lmnl.net
Gefördert durch:
©2021, Liminal
→
Gern informieren wir Sie per E-Mail über Veranstaltungen und aktuelle Ausstellungen. Ihre persönlichen Kontaktdaten werden ausschließlich zur Versendung der Updates verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.
We will be happy to inform you by e-mail about events and current exhibitions. Your personal contact details will only be used for sending updates and will not be passed on to third parties.
CONTACT
For any requests, love letters and feedback please write us a mail at
contact@lmnl.net
Gefördert durch:
©2021, Liminal